Platsch!

Arschbomben für Fortgeschrittene

Von Lisa Welzhofer und Hannes Opel

Anlauf am Beckenrand nehmen, Sprung in die Höhe, dabei die Beine vor dem Körper anhocken und mit den Armen umschlingen. Dann, mit dem Po zuerst und einem möglichst großen Platsch, auf der Wasseroberfläche des Freibads aufkommen.

Das ist die Allerwelts-Arschbombe, die wahrscheinlich jeder schon mal gemacht hat - auch wenn es ein paar Jahre her ist.

Christian Carli ist weiter. Der 40-Jährige aus Filderstadt ist Splashdiver. So nennen sich Menschen, die Arschbomben als Sport betreiben. Profi-Arschbomber sozusagen. Vor eineinhalb Jahren wagte er zum ersten Mal den Sprung ins kalte Wasser. Heute lässt er regelmäßig im Freibad Wasserfontänen aufspritzen. Sein Trainingsgelände: das Badezentrum Sindelfingen.


Die Szene und die Wettbewerbe

Christian Carli ist einer der wenigen Baden-Württemberger, die zur Splashdiving-Szene gehören. Eine Hochburg ist Bayern, vor allem Bayreuth, wo Splashdiving (engl. für spritziges Eintauchen) 2003 von ein paar Freunden erdacht wurde.

Einer von ihnen, Oliver Schill, hat daraus ein Konzept und Geschäftsmodell gemacht. Er organisiert Wettbewerbe, inszeniert den Freizeit-Spaß als “Event”. Es geht um die größtmögliche Show, aber für manchen noch um ein bisschen mehr: “Jeder Absprung ist für mich ein Moment absoluter Freiheit”, sagt zum Beispiel Christian Guth, einer der Meister des großen Platschs.

Mittlerweile gibt es eine kleine, aber rührige Szene, die sich regelmäßig trifft. Viele von ihnen sind ehemalige Turner, Turm- oder Klippenspringer. Das Sprungbrett allein reicht ihnen nicht. Es gibt Sportler, die sich fürs Fernsehen aus Helikoptern heraus ins Wasser stürzen, oder 24 Stunden lang Arschbomben vom Zehnmeterbrett springen.

Und es gibt eine Weltmeisterschaft, die Oliver Schill organisiert. Gäste unter anderem aus Finnland, Schweden, England, Italien, Australien waren schon dabei. 2016 findet die WM zum zweiten Mal im Badezentrum Sindelfingen statt.

Kartoffel, breite Katze, Stuhl oder Anker - insgesamt gibt es 13 verschiedenen Disziplinen, in denen die Splashdiver beim Wettbewerb antreten (weitere Figuren in der Bildergalerie).

Vor dem Sprung muss der Athlet bekannt geben, welchen der 13 er zeigen will. Die Kampfrichter bewerten mit Punkten von 0 bis 10. Es gibt drei Durchgänge. Beim ersten zeigen die Splashdiver einen der Standardsprünge. Dann können sie zwei selbst komponierte Sprünge mit Salti und Schrauben zeigen.

Der Oberkampfrichter überwacht den Ablauf. Wenn der Sprung nicht dem angemeldeten entspricht, gibt es 0 Punkte. Die Kampfrichter bewerten, was sie  sehen. Bei Bedarf können sie eine  Videokontrolle anfordern.

Bewertet werden Absprung (wie hoch springt der Athlet ab), Ausführung (wie bewegt er sich in der Luft), aber auch die Show (Unterhaltungseffekt) und natürlich der so genannte Splashdown, also, wie viel Wasser am Ende spritzt. Dieser Platsch macht fast die Hälfte der Wertung aus.

Was beim Eintauchen passiert, erklärt die Grafik:

Je größer der Trichter, den der Springer reißt, desto höher die Fontäne, die entsteht, wenn das Wasser zurück in den Freiraum drängt. Der Sprung mit dem größten Platsch ist deshalb der Anker, bei dem man einen Fuß vor der Brust angehockt und den anderen nach unten streckt. Weil der Anker einen besonders tiefen Trichter reißt, kann die Wassersäule bis zu 15 Meter hoch werden.

Splashdiving ist sogar wissenschaftlich erforscht. “Naja, pseudowissenschaftlich”, sagt Ulrich Fehr und lacht. Warum der Forscher von der Universität Bayreuth Splashdiving nicht als klassische Sportart sieht, und wie hoch das Verletzungsrisiko ist, lesen Sie in der Bildergalerie:

Christian Carlis Spezialität ist das offene Brett vom Fünfer. Mit einer normalen Badehose bekleidet, den Blick konzentriert nach vorn in Richtung Brett gerichtet, steigt er die eisernen Stufen des Sindelfinger Sprungturms nach oben. Kurz muss er warten. Ein paar Teenager stürzen sich johlend, die Füße voraus, in die Tiefe.

Dann ist Carli dran. Vier Mal federt er auf dem Brett. Er springt gerade ab und bringt im Flug die Beine erst in die Hocke und streckt sie dann im 90-Grad-Winkel geöffnet wie ein V nach vorne. Mit einem großen Knall schlägt er durch die Wasseroberfläche. Die Bildergalerie zeigt, wie:

“Der war gut”, sagt Carlis Frau Mandy am Beckenrand. Sie steht oft dort und guckt zu, wenn ihr Mann zwei bis drei Mal die Woche in Sindelfingen trainiert. Und sie sieht sofort, ob ein Sprung gut ist, oder ob ihr Mann zu wenig Körperspannung hat, schlecht aufkommt und es ziemlich weh tut. Angst hat sie nicht um ihn - und auch Christian Carli sieht seine bisherigen Verletzungen gelassen: “Ich hatte schon blaue Flecken, einen Muskelfaserriss im Oberschenkel und einen überdehnten Muskel im Bauch. Aber da hatte ich mich immer zu wenig aufgewärmt”, sagt er.

Ein Grund, mit seinem Hobby aufzuhören, ist das für ihn nicht. Carli ist Kurierfahrer. Splashdiving ein guter Ausgleich zum ständigen Sitzen im Auto. “Immerhin habe ich auch schon 15 Kilo abgenommen”, sagt Carli, lacht und klopft sich auf den Bauch. Deshalb trainiert er weiter:

Eine Multimedia-Reportage von Stuttgarter Zeitung und
Stuttgarter Nachrichten

Idee und Umsetzung: Lisa Welzhofer und Hannes Opel

Musik von mika55_wio_dubstep

Weitere Multimedia-Geschichten finden Sie unter
www.stuttgarter-zeitung.de/storytelling


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