Das große Unbekannte

Bernd Moosmann zählt zu den besten Fagottbauern der Welt. Was ist das Geheimnis des eigenwilligen Instruments?

Werner Schulzes „Contrafagottophonia“ ist ein Werk aus der Tiefsee. Acht Minuten lang tritt ein Buckelwal ins Zwiegespräch mit einem Kontrafagott. Die Unterwasser-Strophen kommen vom Band, das Fagott tönt live. Um dem Wal-Timbre nah zu kommen, beauftragte der Komponist 1982 einen jungen Instrumentenbauer aus Waiblingen. Er fertigte für Schulze ein Kontrafagott, mit dem man so tief abtauchen konnte wie mit keinem anderen zuvor – bis zum Subkontra As. Beim Konzert auf dem Doppelrohrblattkongress 1984 in Graz machte dieses einzigartige Instrument Furore. Für Bernd Moosmann bedeutete es den Durchbruch.

Heute zählt er zu den besten Fagottmachern der Welt. Seine Instrumente näseln, schwelgen, schnurren, säuseln bei Künstlern wie Andrea Zucco oder Robert Rönnes, Beim Philharmonie-Orchester in London oder beim Russischen Nationalorchester. Der Jazzer Paul Hanson spielt extrafunky auf einem Moosmann.

Und beim virtuosen Martin Kuuskman klingt es wie ein Erweckungserlebnis, wenn er vom Instrument aus dem Remstal spricht – von „grandioser Skalierung“, von „wunderbarsten Tönen“, vom „besten hohen und zugleich voluminösesten tiefen Register aller Fagotte“.

Seine Werkstatt hat Moosmann, 59, in einem Waiblinger Gewerbegebiet neben einem Logistikunternehmen, einer Recyclingfirma und einem Fachmarkt für Bürobedarf. Keine sehr musische Nachbarschaft.

Dem schaffigen Moosmann selbst fehlen ein paar Takte Adagio, um die Ruhe seiner Fagotte auszustrahlen. Wenn er nicht zwischen Messen, Konferenzen, Vertriebsagenten und Künstlern („Fagottisten sind gute Menschen“) umherjettet, wirbelt er in Waiblingen. Seine Frau macht das Büro, eine Tochter arbeitet in der Werkstatt, wo sie und 16 Kollegen an rustikalen Werkbänken sitzen wie tapfere Schneiderlein und jährlich 250 Fagotte herstellen. 8000 Euro kostet ein Basismodell, knapp 30 000 Euro ein Luxusexemplar, 35 000 Euro ein Kontrafagott, dessen Röhre sich schlangenartig in drei, vier Schleifen windet. Wie sonst soll man eine Luftsäule von sechs Metern verstauen, die ein Subkontra B zum Schwingen braucht? Und jeder Halbton in die Tiefe fordert weitere 35 Zentimeter für sich.

Hausmusik: Moosmanns Großvater schmetterte das Euphonium in der Stadtkapelle Waiblingen, der Vater baute Klarinetten. Alle vier Geschwister lernten Blasinstrumente, Bernd entschied sich als Kind für das Waldhorn. Er ging beim Vater in die Lehre und übernahm mit 24 die abgewirtschaftete Traditionsfirma Kohlert.

Er spezialisierte sich auf das Fagott, um dem Vater nicht in die Quere zu kommen. Eine Nische zum Wachsen: „Ich hatte immer den Anspruch, beim Konzert der Großen mitzuspielen“, sagt Bernd Moosmann. Denn es gab ein ungeschriebenes Gesetz: Die besten Oboen kommen aus Frankreich, die besten Fagotte aus Deutschland. Es hat bis heute Bestand – man denke an Rudolf Walter in Pleidelsheim, an Püchner in Nauheim, natürlich an Heckel in Wiesbaden. Der Firmengründer Johann Heckel (1812-1877) gilt als Vater des heutigen Fagotts. Heckel ist der einzige Betrieb, wo man noch DER Fagott sagt.

Moosmanns Schätze liegen im Keller. Hier halten Vierkanthölzer aus Ahorn ihren Dornröschenschlaf. Es muss Riegelahorn aus Bosnien sein, dort sind die Sommer heiß und trocken, die Winter kalt und trocken. So wächst der Baum sehr langsam und mit der typischen Flammung, die dem Instrument Tragweite bis in den letzten Winkel eines Opernhauses schenkt. Nach acht bis neun Jahren erweckt Mossmann die profanen Holzkanteln zum Leben. Dann ist es aus mit der Ruhe, dann schlägt die Stunde von zylindrischen Bohrern und konischen Räumnadeln. Dann wird gefräst, gedreht, seidenweich geschliffen, gebeizt, lackiert, poliert.

Bis ins letzte Geheimnis der Mechanik einzutauchen ist schwierig. Zumal Moosmann im Eiltempo durch die Werkstatt führt und ebenso flüchtig von Konen und Kontermuttern erzählt, von Säulchen und Spitzschrauben, die ins Zentrum von Kugellagern greifen. Es gibt mit Silberhülsen veredelte Fingerlöcher, mit gegerbtem Ziegenleder überzogene Filzpolster, damit die Klappen nicht klappern. Es wird gefräst, gelötet, galvanisiert, vergoldet. Und weil bei noch so exakter Verarbeitung das weiche Ahorn – sei es beim Jahreszeitenwechsel – immer ein wenig arbeitet, kann der Musiker nach Bedarf feinjustieren.

Jede Woche kommt Georg ter Voert, um die Instrumente zu intonieren. Er fühlt ihnen auf den Nerv, führt sie in extreme Tonlagen und Tempi, kitzelt alles raus, was in ihnen steckt – als jage man jeden fabrikneuen Porsche erst einmal über eine Rallyepiste. Moosmann, der Rennmechaniker, korrigiert dann kleine Unreinheiten. „Jedes Instrument muss international bestehen, Musiker sind sehr kritisch“, sagt Georg ter Voert. Seit 40 Jahren ist er Fagottist beim Radiosinfonieorchester Stuttgart, nächstes Jahr geht er in Rente. Das Fagott hat ihn ein Berufsmusikerleben begleitet mit seinem „gesunden Klang“, wie er sagt. Eine Liebe, die nie erkaltete. „Das Fagott drängt nie nach vorne, das hat es nicht nötig. Aber wenn es mal solistisch wird, ist es umso schöner.“

Im Orchester agiert es seit Urzeiten unauffällig. Man schätzt es als guten Begleiter und für sein Talent, mit anderen Instrumenten zu verschmelzen. Mozart traute ihm mehr zu. Als einer der ersten großen Komponisten stellte er es allein ins Rampenlicht. Und auf einmal zeigte das Fagott, was schon immer in ihm schlummerte. Es konnte – auf seine unaufdringliche Weise – ein Konzert tragen.

Wer spielt schon Fagott? Auch das sei anfangs ein Reiz gewesen, sagt Georg ter Voert. Sich auf einen Exoten einzulassen. Das große Unbekannte. Das Wundertier aus der Tiefsee, im Schleppnetz gefangen, geputzt und in den Orchestergraben geworfen, wo es nun leicht mürrisch schöner singt, als es eigentlich will.

„Es gibt kaum ein vielseitigeres Instrument“, weiß Georg ter Voert heute. Es kann alles sein: ausgeglichen und kapriziös, anschmiegsam und schroff, komisch und erhaben, feinnervig und plump. Oder wie Dr. Joseph Gröhlich, Lehrer für Tonkunst an der Königlich Bayerischen Universität in Nürnberg es 1829 formulierte: „Welch herrlicher Genuß ist es, einen Künstler auf diesem Instrument zu hören. Wenn er hier in dem Helldunkel seiner Töne uns zu schauerlichen Gefühlen hinreißt, das Herz wie im dräuenden Geistertone anregt und gleich darauf die Klänge bis zum belebtesten Fluge der Freude aufzustellen und uns in die süßeste Wonne zu wiegen weiß.“

Das Fagott kann im hohen Register voll träumerischer Schwermut sein – wie zu Beginn von Strawinskys „Le sacre du printemps“.

Und im tiefen Register dem Unheimlichen eine Stimme geben. Am Ende von Verdis „Don Carlo“ ist es der Kontrafagott, der dem Großinquisitor die Bühne bereitet und an ihm haftet, bis das Unheil besiegelt ist.

Gibt es ein Verstehen zwischen dem Propheten und der Prinzessin? Kann die dritte Szene in der Richard-Strauss-Oper “Salome“ gut ausgehen? Sie will nicht von ihm lassen: „Deinen Mund begehr ich, Jochanaan.“ Er verflucht sie drei Mal, steigt zurück in seinen Kerker und lässt sie allein mit dem Gesang eines Kontrafagotts. Wer bis dahin noch Hoffnung hatte, weiß es spätestens jetzt: Das ist das Ende.

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