
Wie ein Dorf dem demografischen Wandel trotzt
Allmannsweiler im Kreis Biberach ist das jüngste Dorf Baden-Württembergs
Ins Neubaugebiet sind es vom Rathaus aus nur ein paar Meter: Links reihen sich weiß gestrichene Häuser, gepflasterte Einfahrten, Gärten mit Kinderschaukeln aneinander, vorne endet die geteerte Straße an einem Acker. Stefan Koch, der Ortsvorsteher, bleibt stehen und guckt in die Ferne. Bauland, sagt er, sei einer der wichtigsten Gründe, warum junge Leute in einen Ort wie diesen kommen. „Und das Land“, sagt eine Frau, die vor ihrem Neubau auf der Treppe sitzt. „Wenn ich hier ein paar Meter den Hügel hoch gehe, sehe ich zum Federsee, sehe die Weite des Landes, manchmal bis zu den Alpen.“
Allmannsweiler liegt eine halbe Autostunde von Biberach entfernt und 65 Kilometer südwestlich von Ulm. Um die 300 Menschen leben hier. Es gibt eine gotische Kirche aus dem 14. Jahrhundert, zwei Milchviehbetriebe, zwei Bushaltestellen, einen Maschinenbauer, einen Landtechniker, ein Bauunternehmen, ein Feuerwehrhaus, ein Jugendhaus, ein Backhaus und seit ein paar Monaten auch einen Dorfladen. Die Bewohner hier sind im Durchschnitt rund 38 Jahre alt. Damit sind sie mehr als 5 Jahre jünger als der Landesdurchschnitt – und 14 Jahre unter dem Schnitt des ältesten Dorfes im Land, Ibach im Schwarzwald.
Was läuft hier anders als anderswo?
Der Bürgermeister sagt, hier spielen viele Dinge zusammen. Die Geburten in den letzten Jahren seien hochgegangen, vier Kinder kamen 2017 in dem Ort auf die Welt. Ein Altersheim gibt es nicht, nur 31 von den knapp 300 Einwohnern sind im Rentenalter, auch das senkt den Altersschnitt. Dann die Infrastruktur, sowohl die Breitbandanbindung im Ort, die Betriebe hier, als auch die vielen Arbeitsplätze und die größeren Städte in der nahen Umgebung. „Die Wirtschaft im Landkreis Biberach boomt“, sagt Stefan Koch, die Arbeitslosenquote liegt bei 2,1 Prozent. Die großen Industrieunternehmen in der Region böten viele Arbeitsplätze, davon würden auch die Gemeinden auf dem Land profitieren, weil junge Menschen eben gut eine Stelle fänden. Aber Stefan Koch sagt auch, dass da noch andere Punkte sind.
In der alten Kiesgruppe sitzen um die Mittagszeit ein paar Männer vor der Hütte. Seit Jahren gibt es die hier schon, und seit Jahren treffen sich an der Hütte die Leute aus dem Ort. Nebenan ist eine Grillstelle, am anderen Ende der Wiese der neue Spielplatz.
Die Männer sagen, die Leute hier seien einfach zufrieden.
Vor ein paar Jahren hat man hier im Ort eine Bürgerbefragung durchgeführt. Dabei kam raus: Oft sind es nur Kleinigkeiten, die fehlen. Spielplätze zum Beispiel. Ein größeres Haus für die Feuerwehr. Eine Verschönerung der Beton-Mauern, die das Gelände entlang der Dorfmitte stützen. Erweiterungsflächen für die, die ein Gewerbe haben. Einkaufsmöglichkeiten im Ort.
Stefan Koch sagt: Sie haben Leute mitgenommen, hier in Allmannsweiler. Arbeiten die Punkte nach und nach auf, haben die Stützmauern verschönert, den Spielplatz angelegt, Flächen geschaffen. Und jemanden für einen kleinen Dorfladen gewonnen.
Dabei sahen die Prognosen für kleine Gemeinden auf dem Land lange sehr düster aus. Ab der Jahrtausendwende haben die Statistiker für den ländlichen Raum einen Bevölkerungsrückgang beobachtet – und eine schnellere Alterung. Bis 2015 verlor der ländliche Raum stärker an Einwohnern als die sogenannten Verdichtungsräume. Es war von Landflucht die Rede und von einer Vergreisung der Dörfer, weil der Trend in die Städte fast ausschließlich von jungen Menschen bestimmt wurde. Doch seit ein paar Jahren ändert sich vielerorts etwas.
War das Durchschnittsalter zuletzt in Stadtkreisen wie Heidelberg, Ulm oder Freiburg am niedrigsten, hatte der Kreis Biberach Ende 2017 nach Tübingen immerhin die zweitjüngste Bevölkerung unter den Landkreisen.
Auch anderswo haben ländlich geprägte Kreise Bevölkerungszuwachs und werden dadurch oftmals auch jünger: Drei der zehn jüngsten Dörfer des Landes liegen im Kreis Ravensburg, vier im Alb-Donau-Kreis, zwei im Kreis Biberach. Bevölkerungszuwächse gibt es beispielsweise auch in kleinen Gemeinden im Kreis Tuttlingen und Lörrach. Das liege zum einen am Zuzug und zum anderen an einer höheren Geburtenrate, sagt Werner Brachat-Schwarz vom Statistischen Landesamt.
Seit zwei, drei Jahren beobachtet er eine gewisse Trendumkehr: „Seit 2016 sind die relativen Wanderungsverluste in den dünn besiedelten Gebieten geringer als in den Ballungsräumen.“ Heißt: Die Differenz zwischen jenen, die wegziehen, und jenen, die zuziehen, ist auf dem Land nicht mehr so groß – auch dann, wenn man die Zahlen der zugezogenen Flüchtlinge nicht mit einrechnet.
Das Land und kleinere Gemeinden seien wieder attraktiver geworden für Zuziehende, sagt Brachat-Schwarz. „Das dürfte vor allem darauf zurückzuführen sein, dass der Wohnraum in den Städten immer knapper und somit teurer geworden ist“, sagt Statistiker Brachat-Schwarz. Weil Zuzug üblicherweise Verjüngung bedeute und Wegzug eine überdurchschnittliche Alterung, wirke sich das eben auch auf das Durchschnittsalter vieler Gemeinden aus.
Doch diese Entwicklung gilt nicht für alle Gegenden im Land gleichermaßen. „Schwache Regionen“ seien beispielsweise der Neckar-Odenwald und der Main-Tauber-Kreis, sagt Brachat-Schwarz. Auch das Durchschnittsalter ist in diesen Regionen hoch. Die Gründe dafür seien vielfältig: Infrastruktur, Arbeitsplatzangebot, Lage. Dass der Erholungsort Ibach im südlichen Hochschwarzwald im Schnitt so alt ist, liege wohl daran, dass die Gemeinde verkehrstechnisch nicht sehr gut angebunden sei, sagt ein Sprecher des Landratsamts in Waldhut. Auch schnelles Internet und Arbeitgeber gebe es dort nicht. Und aus dem Landratsamt des Main-Tauber-Kreises heißt es: Ein weniger ausgeprägter öffentlicher Nahverkehr, gewisse Rückständen beim Breitbandausbau, der Kampf gegen ein schlechtes Image.
In der Infrastruktur sieht auch Steffen Jäger vom Gemeindetag Baden-Württemberg die Herausforderung der kommenden Jahre. Denn der Fachkräftemangel werde sich überall bemerkbar machen – und wenn man es nicht schaffe, die freiwerden Stellen nachzubesetzen, sei das ein Problem. „Es gibt keine ländliche Region, in der wir nicht einen Weltmarktführer haben.“ Wolle man da zukunftsfähig bleiben, gelte es auch auf dem Land Wohnraum, Bildungs- und Gesundheitsangebote, Pflege und Mobilität flächendeckend auszubauen.
Vieles läge da nicht in der Verantwortung der Kommunen, sondern beispielsweise bei den Krankenkassen oder dem Land: „Hier muss man eben auch in die Fläche gucken und nicht nur auf die betriebswirtschaftlichen Zahlen“, sagt Jäger. Immerhin, das politische Bewusstsein sei in den vergangenen Jahren gestiegen, viele Prozesse angestoßen, die Rahmenbedingungen seien gut.
Im Main-Tauber-Kreis beispielsweise haben sie den Nahverkehr verbessert, die Kinderbetreuung ausgebaut und den flächendeckenden Breitbandausbau. Auch hier würden sich positive Trends bei der Bevölkerungsentwicklung abzeichnen, es gebe großen Bedarf am Mietwohnungsbau, sagt ein Sprecher des Landratsamts. Und während Ibach im Schwarzwald zwar einen verhältnismäßig hohen Altersdurchschnitt hat, entwickelt sich die Bevölkerung im Landkreis Waldshut insgesamt positiv.
Zwar könne eine Gemeinde die Bildungsangebote oder die Krankenhausversorgung kaum beeinflussen, aber ein paar Stellschrauben habe man als Bürgermeister schon, sagt auch Stefan Koch. Eines seiner größten Anliegen: Die innerörtliche Flächenverdichtung - also die Frage, wie man den Platz nutzen kann, der in der Mitte des Dorfes noch ungenutzt ist.
Guckt man auf die Prognosen der Statistiker, scheint ungewiss, ob die Entwicklung weiter in diese Richtung geht. Denn die Gemeinden altern überall in Baden-Württemberg. Auch in Allmannsweiler zeigt ein Blick auf die Entwicklung des Durchschnittsalters in den vergangenen Jahren diesen Trend: Im Jahr 1995 waren die Bewohner im Schnitt sogar nur 33 Jahre alt. Und während derzeit zwischen 30 und 40 der Einwohner aus dem Ort im Rentenalter sind, könnten es im Jahr 2030 schon über 70 sein, rechnen Statistiker vom Landesamt voraus. Gleichzeit gehen die Experten davon aus, dass etwa jeder Fünfte der 18 bis 25-Jährigen auf dem Land früher oder später in die Städte ziehen wird, beispielsweise zum Studium.
„Wenn man’s richtig anpackt, kommen die vielleicht irgendwann wieder zurück“, sagt Bürgermeister Stefan Koch. Er steht vor dem Jugendhaus Babalouu, in der Ortsmitte, da, wo auch das Backhaus und das kleine Feuerwehrhaus sind. Man müsse eben was tun für den sozialen Zusammenhalt in der Gemeinde, für die Vereine, für Leben im Dorf und für die Jugend: „Viele von denen, die zum Studium weggezogen sind, sind wieder hierher gezogen, als sie im Häuslesbauer-Alter waren.“ Wer aus der Gemeinde einen Bauplatz wolle, käme bei der Vergabe auch zum Zuge.
Und die Jugendlichen im Ort? Können sich das vorstellen.