Flüchtlinge in Zaatari
Der Bürgerkrieg in Syrien zieht eine der größten Flüchtlingskatastrophen der Menschheit nach sich. Im Lager Zaatari im Norden Jordaniens sind 80.000 Menschen gestrandet.
Zaatari sollte es gar nicht mehr geben. Und doch ist das Flüchtlingslager der Vereinten Nationen, aufgebaut als Provisorium zu Beginn des Krieges in Syrien, längst zur gut funktionierenden Stadt mutiert. 80.000 Menschen drängen sich in diesem Niemandsland in der jordanischen Wüste, gestrandet auf der Flucht vor den blutigen Kämpfen der verfeindeten Kriegsparteien. Glaubten die Menschen anfangs noch an eine schnelle Rückkehr in ihre Heimat, haben die meisten Flüchtlinge diese Hoffnung längst verloren.
Das Flüchtlingscamp liegt im Norden Jordaniens, etwa 10 Kilometer östlich der kleinen Stadt Mafraq und nur sechs Kilometer südlich der Grenze zu Syrien. Zaatari wurde im Juli 2012 innerhalb weniger Wochen geplant und in der jordanischen Wüste errichtet. Inzwischen ist das Camp zu einem der weltgrößten Flüchtlingslager geworden und entwickelt sich nach und nach zu einer Art festen Siedlung. Längst ist Zaarati ein sehr wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Region und Jordaniens viertgrößte Stadt.
Die jordanische Regierung hat allerdings absolut kein Interesse daran, dass Zaatari zu einer festen Siedlung wird. Aus diesem Grund leben die Flüchtlinge noch immer in Containern oder Zelten, denn es ist verboten, in dem Camp fest Häuser aus Lehm, Ziegeln oder Zement zu bauen. Das Argument: Rund zwei Millionen Palästinenser leben in Jordanien, viele seit fast 70 Jahren und inzwischen mit jordanischer Staatsangehörigkeit. Ihre einstigen Flüchtlingslager sind inzwischen zu Städten und Stadtvierteln innerhalb der Hauptstadt Amman geworden. In den ersten Jahren habe dieser Zuzug die Gesellschaft an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Ein zweites Mal könne das Land das nicht verkraften.
Es ist allerdings nicht ganz einfach, das Camp Zaatari zu betreten. Wer auf die Container-Stadt zufährt, passiert zuerst einen aufgeschütteten Sandwall und einen Kommandoposten der jordanischen Streitkräfte. Dort ist ein Schützenpanzer postiert, Soldaten begutachten Fremde sehr kritisch. Besucher werden nur durchgelassen, wenn sie angemeldet sind. Ein paar hundert Meter weiter taucht eine Betonmauer auf, bekränzt mit Stacheldraht. Bilder von Kindern sind in Schwarzweiß auf die Mauer gemalt, dazu die blauen Buchstaben UNHCR, die Abkürzung des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen. Kein sehr einladender Anblick, der seltsam mit dem geschäftigen Treiben hinter dem Stacheldraht korrespondiert. Die Botschaft ist klar: Die Flüchtlinge sollen unter sich bleiben, sie sollen sich nicht integrieren.
Ein Leben ohne Hoffnung
Die Familie Abouschad will zurück in ihre Heimat. Doch dort tobt seit Jahren der Krieg.
Für Kamel Abouschad ist seine Heimat nur noch ein Traum. “Wir gehen zurück nach Syrien”, sagt er, “dort lerne ich wieder laufen, arbeite auf meiner eigenen Farm und gründe eine Familie.” Seine Frau Charam sitzt zusammengekauert auf einer Matte in der Ecke ihres Wohncontainers und kann die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie ist erst 20 Jahre alt und versucht sich in dem Albtraum zurechtzufinden, in den sich ihr Leben vor fünf Jahren verwandelt hat.
Eine Kugel genügte, um dem Schicksal des frisch verheirateten Paares eine dramatische Wende zu geben. Beide lebten damals in der Nähe von Damaskus, als sich Kamel wie jeden Tag am Morgen mit dem Rad auf den Weg zur Arbeit machte. Der junge Mann kann sich nur noch an den stechenden Schmerz erinnern und dass er gestürzt ist. Ob ein Heckenschütze gezielt auf ihn geschossen hat oder er von einem Querschläger getroffen wurde - Kamel weiß es nicht.
“Wir wohnten mit unseren Verwandten in einem großen Haus und hatten eine Farm”, erzählt der 27-Jährige aus seinem früheren, glücklichen Leben. Die Kämpfe zwischen den Regierungstruppen des Diktators Baschar al-Assad und den Rebellen hatten erst wenige Monate zuvor begonnen.
Da der schwer verletzte Kamel Abouschad in Syrien nicht behandelt werden kann, wird er von den Kämpfern der Freien Syrischen Armee nach Jordanien in ein nahes Krankenhaus transportiert. Dort wird sein Leben gerettet, doch er kann nicht mehr gehen. Aber die Ärzte machen ihm Hoffnung, dass er nicht sein ganzes Leben lang auf den Rollstuhl angewiesen bleiben wird. Kamel beginnt in dem Hospital ein spezielles Rehabilitationsprogramm. “Nach einigen Monaten konnte ich mich schon wieder mit einem Rollator fortbewegen”, erinnert sich der der junge Syrer.
Doch die Behandlung ist teuer und der Familie geht das Geld aus. Kamel Abouschad: “Wir sind dann vor etwa fünf Monaten nach Zaatari gegangen, weil ich gehofft habe, dass ich hier weiter therapiert werden kann.” Sie hatten gehört, dass in dem Lager in den Jahren seit Kriegsausbruch eine beachtliche Infrastruktur zur Versorgung der Menschen aufgebaut worden ist. Neben Schulen und mehreren Begegnungszentren gibt es auch zwei Krankenhäuser, wo die Ärzte ihre Patienten gratis behandeln.
Doch die Hoffnung ist vergebens. Auf solch spezielle Fälle wie Kamel Abouschad sind die Kliniken nicht eingestellt. Er bekommt zwar in einem der Gesundheitszentren Krankengymnastik, doch der Zustand des jungen Syrers verschlechtert sich rapide - er kann nur noch im Bett liegen.
Seine Frau Charam kümmert sich aufopferungsvoll um ihn. “Wir sehen viel fern und reden sehr viel miteinander”, erzählt sie, doch die Verzweiflung in ihrer Stimme ist deutlich zu hören. Sie hofft inständig, dass es Kamel bald besser gehen möge und sie ein normales Leben führen können - so weit das in dem Flüchtlingscamp überhaupt möglich ist.
Eine Abwechslung für Charam ist das Einkaufen. “Ich gehe einmal pro Monat im Supermarkt von Zaatari einkaufen”, sagt sie. “Öl, Tee, Zucker, Milch, die wichtigen Dinge eben.” Für mehr reicht die finanzielle Unterstützung der Vereinten Nationen von monatlich 27 US-Dollar kaum. Besonders bitter für die junge Syrerin ist, dass Kamel durch Gelegenheitsjobs nichts hinzu verdienen kann. Viele der Männer im Camp verdingen sich als Tagelöhner in der nur wenige Kilometer entfernten Stadt Mafraq oder helfen im Camp. Dass er nicht zum Unterhalt der Familie beitragen kann, nagt auch am Selbstbewusstsein ihres Mannes.
Einkaufen per Iris-Scan
Im Supermarkt von Zaatari wird von den Vereinten Nationen die neuste Technik eingesetzt.
Der Supermarkt in Zaatari ist inzwischen ein gut funktionierendes kleines Unternehmen - und ein beliebter Treffpunkt, um dem eintönigen Lageralltag zu entfliehen und ein Schwätzchen zu halten. Einige der Flüchtlinge haben dort auch eine Arbeitsstelle gefunden. Sie räumen die Regale ein oder räumen auf. Die Organisation des Marktes ist UN-Mitarbeitern vor allem aus Jordanien vorbehalten. Auch aus diesem Grund werden die Flüchtlinge in Jordanien nicht von allen Menschen abgelehnt: die Versorgung der Menschen schafft viele Arbeitsplätze bei den Hilfsorganisationen.
Nicht jeder kann jedoch in dem gut ausgestatteten Supermarkt an der Kasse einfach so bezahlen. Um in dem Supermarkt einzukaufen, müssen die Flüchtlinge sich vorher in einem der Zentren der Vereinten Nationen registrieren lassen. Dort werden die Familien erfasst. Wer ist das Familienoberhaupt? Wie viele Kinder gehören dazu? Wer kann arbeiten? Ist jemand krank oder verletzt? Auch dieser Vorgang ist inzwischen Routine, wird allerdings immer weiter verfeinert. Die ersten Flüchtlinge aus Syrien erhielten lediglich genau festgelegte Essensrationen. Aber schon damals war es überaus wichtig, die ankommenden Menschen zu registrieren, um die riesigen Mengen an Nahrungsmittel für Hunderttausende Menschen auch wirklich kalkulieren zu können.
Doch schnell wurde deutlich, dass das Verteilen von Nahrung an die Vertriebenen nicht genügt. Allein der Transport von Lebensmitteln für Millionen Menschen ist nicht über Jahre hinweg zu organisieren. Es musste nach anderen Wegen gesucht werden. Die Lösung war die Einführung einer Geldkarte. Nach ersten Schwierigkeiten haben die Helfer erkannt, dass sie damit aus mehreren Gründen richtig liegen.
Zum einen gibt die Karte den Flüchtlingen die Möglichkeit, selbst darüber zu bestimmen, was sie kaufen und essen möchten. Damit bekommen sie auch ein Stück Würde zurück. Das ist für viele der Menschen sehr wichtig, die bis zum Ausbruch des Krieges in ihrer Heimat ein selbstbestimmtes Leben geführt haben. Aber auch die Akzeptanz der Flüchtlinge in der Bevölkerung ist dadurch gestiegen. Die Syrer wurden plötzlich zu einem Faktor in der heimischen Wirtschaft von Jordanien. Denn nicht nur die Flüchtlinge in den Camps benutzen die Geldkarte, sondern auch jene Menschen, die in den Städten einen Unterschlupf gefunden haben. Sie können in ausgesuchten Geschäften damit bezahlen. Diese Läden müssen sich an sehr genaue Vorgaben halten. So dürfen mit der Geldkarte nur ganz bestimmte Lebensmittel ver- und gekauft werden. Auch dürfen die Geschäftsinhaber ihre Waren nicht zu überhöhten Preisen verkaufen und werden daher auch regelmäßig überprüft.
Doch die Karte soll nach und nach abgelöst werden durch ein neue Methode: den Iris-Scan. Die auf diese Weise registrierten Flüchtlinge können alle Behördengänge - oder eben auch das Einkaufen - ohne Papiere erledigen. Ein Blick in den speziellen Scanner genügt. Damit wird nach Angaben der UN-Mitarbeiter auch der Missbrauch von Hilfsgeldern unmöglich. In der Vergangenheit sei es vereinzelt vorgekommen, dass Familien, die Jordanien wieder verlassen haben, um nach Syrien zurückzukehren oder in Richtung Europa weiter zu ziehen, ihre Karte an Bekannte weiter gegeben haben. Diese konnten dann damit bezahlen, bis nach einem Jahr die erneute Registrierung fällig wurde.
Die folgende Bildergalerie beschreibt, wie der Prozess der Registrierung mit dem Iris-Scan abläuft. Bitte rechts im Bild auf den Pfeil klicken.
Die Flüchtlinge können mit einem Iris-Scan auch im Supermarkt bezahlen. Das ist bisweilen eine etwas langwierige Prozedur, da das Gerät die Iris nicht immer sofort erkennt - oder die Leute nicht lange genug stillhalten. Dennoch benutzen immer mehr Einkäufer diese Möglichkeit. Das Bezahlen mit dem Iris-Scan ist in Zaatari allerdings nur im Supermarkt möglich. Auch außerhalb des Camps sind die technischen Voraussetzungen noch nicht gegeben, so dass auf die Geldkarte verzichtet werden könnte.
Die Champs Élysées
Einkaufen in Zaatari
Aber nicht alle Dinge des täglichen Bedarfs sind in dem Supermarkt von Zaatari zu bekommen. Schnell haben die findigen Geschäftsleute unter den Flüchtlingen erkannt, dass in dem Camp auch viele andere Waren gefragt sind - bis hin zu Dienstleistungen.
Wer das Camp betritt, wird überrascht. Unmittelbar hinter dem zentralen Tor liegt eine quirlige Einkaufsmeile. Dort reiht sich Geschäft an Geschäft. Diese Straße nennen die Syrer fast schon liebevoll Champs Élysées - und sie ist längst zu einem Symbol der Improvisationskunst und auch des Überlebenswillens der Menschen in Zaatari geworden.
Das Leben auf der Champs Élysées scheint verwirrend lebhaft und sorglos - immer wieder muss sich der Besucher ins Gedächtnis rufen, dass er sich in einem Flüchtlingslager befindet. In der Sonne brutzeln Hähnchen, es duftet nach Falafel. Angeblich gibt es hier die besten im ganzen Land. An den Gemüseständen werden Tomaten, Zucchini, Zitronen und jede Menge Orangen verkauft. Zwei Jungs schleppen eine Kiste mit Auberginen über die Straße. Ein paar Ecken weiter bekommt man Damenschuhe in jeder Ausführung. Vor einem Sportgeschäft stehen Schaufensterpuppen in bunten Jogginganzügen. Vor einem der unzähligen Geschäfte strahlen quietschbunte Hochzeitskleider, wallende Träume in Rot und Gelb.
Die Waren besorgen sich die Händler aus der der nur wenige Kilometer entfernten Stadt Mafraq. Dort haben sich die jordanischen Zwischenhändler längst auf ihre neue Kundschaft aus dem Camp eingestellt. Manche Dinge sind auf der Champs Élysées manchmal sogar billiger als im Supermarkt - frisches Gemüse zum Beispiel.
Immer wieder manövrieren sich Männer und Jungs auf Fahrrädern zwischen den Leuten hindurch, die sich auf der Einkaufstraße drängen. Ein Drahtesel ist inzwischen ein wichtiges Fortbewegungsmittel in Zaatari - so groß ist das Lager geworden, als dass man von einer Ecke zur anderen zu Fuß gehen könnte.
Die folgende Bildergalerie gibt einen kleinen Einblick in das Leben auf der Einkaufstraße in Zaatari. Bitte im Bild auf den rechten Pfeil klicken.
Balqis Albsharat erklärt das Geheimnis dieses Lagers, das nur wenige Kilometer von der Grenze zu Syrien entfernt liegt. “Die Syrer sind ein ganz besonderer Menschenschlag”, sagt die Mitarbeiterin der Vereinten Nationen. “Sie lassen sich nicht hängen. Sie versuchen alles, um ihrem Leben wieder Sinn zu geben.“
Niemand weiß genau, woher das Geld kommt, das in Zaatari umgesetzt wird. Manche der Flüchtlinge haben noch Ersparnisse. Im Lager selbst gibt es wenig zu verdienen. Ein kleiner Teil der Arbeiter darf hin und wieder mit Sondergenehmigung auf den Feldern der Umgebung arbeiten, für einen Dollar pro Stunde. Die Vereinten Nationen vergeben ein paar hundert Minijobs. Freilich haben die Flüchtlinge im Lager auch keine großen Ausgaben. Alles wird kostenfrei gestellt: Unterkunft, Gesundheitsversorgung, Kleidung, Lebensmittel.
Offiziell dürfte es keines der vielen Geschäfte auf der Champs Elysées geben. Doch die jordanischen Behörden haben schnell eingesehen, dass es sinnlos ist, den Geschäftssinn zu bremsen oder reglementieren zu wollen. Und die Vereinten Nationen sehen es mit Wohlgefallen. Es gehört zu den Klagen aller Bewohner in Zaatari, dass das Leben im Camp zu wenig Abwechslung bietet. In dieser Situation geben die Marktstände den Menschen Halt und sie übernehmen Verantwortung. Zudem ist die Straße ein sozialer Treffpunkt, der sie mit ihrem geschäftigen Treiben zumindest ein bisschen an ihr Leben in der Heimat erinnert.
Beim Gang über den Champs Élysée ist kaum mehr zu glauben, wie das Camp im Sommer 2012 entstand. Anfangs standen nur Zelte da, es fehlte jede Infrastruktur. Mit der Zeit wurden Straßen betoniert, Stromleitungen gezogen, Brunnen gebohrt. Inzwischen gibt es Krankenhäuser, Gesundheitsstationen, Spielplätze und Schulen für Tausende von Kindern.
Zaatari - Hilfe ohne Ende?
Das Camp ist eine Einrichtung auf Zeit. Doch wie lange diese Zeit sein wird, weiß niemand.
In Zaatari wird aber auch deutlich, dass der Bürgerkrieg in Syrien eine der größten Flüchtlingskatastrophen der Menschheit nach sich zieht. Die Zahl der Vertriebenen, die vor dem Konflikt in die Nachbarländer geflohen sind, hat längst die Vier-Millionen-Marke überschritten. Dieses Ausmaß der Krise bringt auch die Hilfsorganisationen an den Rand ihrer Möglichkeiten.
Der ehemalige UN-Flüchtlingskommissar António Guterres warnte bereits kurz nach dem Ausbruch des Krieges davor, die Lage zu unterschätzen.
Er sagte:
„Dies ist die größte Flüchtlingsbevölkerung eines einzelnen Konflikts seit einer Generation. Es sind Menschen, die internationaler Unterstützung bedürften, stattdessen aber unter härtesten Bedingungen leben und immer weiter in die Armut abrutschen.“
Aber auch im sechsten Jahr des Krieges ist kein Ende in Sicht. Die Krise verschärft sich weiter und immer mehr Menschen werden heimatlos.
Die jordanische Regierung nennt alle Syrer Flüchtlinge – die Vereinten Nationen bestreiten das. Offiziell haben sich nur rund 630.000 bei den Vereinten Nationen registriert. Ein Sechstel davon lebt in zwei großen Lagern. Die anderen haben sich in der Nähe der Grenze und in der Metropole Amman niedergelassen, eine gute Stunde Autofahrt entfernt. Hinzu kommen noch etwa 400.000 Syrer, die entweder keine Hilfe wollen oder ohne Aufenthaltsgenehmigung im Land leben. Das ergibt eine Million. Und dann gibt es noch ein paar Hunderttausend Syrer, die schon vor dem Krieg legal in Jordanien lebten, weil sie dort Arbeit gefunden hatten.
In Zaatari selbst werden keine neuen Flüchtlinge mehr aufgenommen. Trotzdem hat das Camp so manche Provinzstadt an Einwohnern überrundet. Jeden Tag werden 18 Kinder geboren, hinein in ein Leben als Flüchtling.
Einer, der sich seit Jahren um die Flüchtlinge kümmert, ist Volker Schimmel. Er koordiniert die Hilfe des UNHCR in Jordanien. Seine Analyse der Lage ist ernüchternd: die finanzielle Not treibe die Syrer in die Verzweiflung. Sie nehmen ihre Kinder aus den Schulen, rationieren ihr Essen und sparen an ihrer gesundheitlichen Versorgung. Andere versuchen, illegal in andere Länder zu fliehen oder sogar zurück nach Syrien zu gehen. Damit nehmen sie hohe Risiken in Kauf, sagt Volker Schimmel. Neben der Versorgung mit Nahrung, einer Unterkunft und ärztlicher Hilfe sind finanzielle Mittel für die Instandhaltung der zwei jordanischen Flüchtlingslager dringend nötig.
Er sagt:
“Aufgrund der Dauer des Konflikts haben syrische Flüchtlinge ihre Mittel aufgebraucht. Die Staaten, in denen sie Asyl gefunden haben, sind strukturschwach und können nicht weiter helfen.”
Schimmel unterstreicht allerdings immer wieder, dass die Regierung in Jordanien die syrischen Flüchtlinge stark unterstütze. Neben der Grundversorgung hätten die Menschen in den Flüchtlingscamps insbesondere Hilfe bei Bildung und Gesundheit erhalten. Doch der Konflikt dauere nun schon viele Jahre und es werde immer schwieriger, dringend notwendige Hilfe zu finanzieren.
Sorgen bereitet den Hilfsorganisationen vor allem die Altersstruktur der Flüchtlinge. Es sind vor allem Kinder und junge Menschen, die in den Flüchtlingslagern sind.
Im Lager gibt es zwar Schulen, doch es ist unmöglich, alle Kinder zu unterrichten. Bisweilen schicken die Eltern ihre Kinder auch nicht zum Unterricht, weil immer mehr gezwungen sind zu arbeiten, um zum Lebensunterhalt ihrer Familien beizutragen.
Im Libanon müssten oft schon Sechsjährige schuften, heißt es in einem umfassenden Bericht über Kinderarbeit unter syrischen Flüchtlingen in der Region, den die Kinderhilfsorganisationen Unicef und Save the Children veröffentlichten. In Jordanien sind demnach in der Hälfte der befragten Haushalte die Kinder wichtige oder gar die einzigen Geldverdiener. “Auf Grundlage all dieser Befragungen ist klar, dass Kinderarbeit massiv zugenommen hat, seit der Konflikt in Syrien begonnen hat”, heißt es in dem Unicef-Bericht.