Mit dem Öl leben, am Öl sterben
Seit September wird im ecuadorianischen Yasuní-Nationalpark Öl gefördert. Das könnte übel ausgehen. Und es hat eine Menge mit uns zu tun.
Den Müll aus vier Jahrzehnten Ölförderung im Osten Ecuadors buddelt Donald Moncayo mit einer einfachen Schaufel aus. Ein, zwei Schippen weiche tropische Erde, und dann: Ölschlamm, eine zähe, stinkende Masse, tiefschwarz. Wenige Meter entfernt brummt die Ölstation Sacha Sur mit ihren Tanks, Trucks, Arbeiterwohnheimen.
„Seit 1975 wird an diesem Ort Öl gefördert“, sagt Moncayo, „seither wird diese Gegend verseucht“. Ein Öl-Wasser-Gemisch, das bei der Förderung ebenfalls aus der Erde quillt, wurde wie hier an Hunderten weiteren Bohrstellen einfach ins nächste Gewässer geleitet, sagt Moncayo, der Umweltaktivist ist und Besuchern die Umweltsünden der Ölindustrie zeigt.
Bis in sieben, acht Metern Tiefe finde sich in der Nähe der Förderstellen Öl im Boden, sagt Moncayo. Es wurde in sogenannten piscinas gesammelt, zu Deutsch Schwimmbecken. Das Wort beschreibt die Dimensionen ganz gut. Irgendwer hat einen halben Meter Erde darübergekippt, seither gilt dieser Ort offiziell als gereinigt.
Wir waren mit Donald Moncayo im Ostteil von Ecuador unterwegs. Dort zeigt der 41-Jährige, welche Schäden vier Jahrzehnte Ölföderung hinterlassen haben:
Donald Moncayo riecht kurz an dem Schlamm, den er ausgegraben hat und verzieht angewidert das Gesicht. Vor Jahren, erzählt er, hat hier noch eine Familie gelebt, das Brunnenloch kann man noch gut erkennen.
Auch der 41-Jährige ist in dieser Gegend unter solchen Umständen aufgewachsen, 200 Meter von einer Ölförderstelle entfernt. „Als Kind habe ich in Ölpfützen gespielt, unsere Nachbarn haben mit kontaminiertem Wasser gekocht und gewaschen“, erzählt Moncayo, „am Anfang hat den Leuten niemand gesagt, dass das gefährlich ist. Wir dachten, das Erdöl sei Medizin.“ Seine Mutter habe irgendwann der Krebs geholt.
Sie war nicht die Einzige.
Mit Öl leben, am Öl sterben
Wer nicht gerade für die Ölindustrie arbeitet, leidet an ihr. Eine Rundfahrt durch eine seit mehr als vierzig Jahren geschundene Landschaft.
Vielen ging es so im Oriente, dem Land im Osten Ecuadors zwischen Ölfeldern und Urwald, von wo das verseuchte Wasser erst in den Rio Napo fließt, vorbei am Yasuní-Nationalpark und dann in den Amazonas. Seit die US-Firma Texaco hier Mitte der Sechziger Öl entdeckte, füllen Politiker und Unternehmer sich die Taschen. Um neue Bohrstellen zu erschließen, werden ganze Dörfer verkauft. Seit Jahrzehnten belasten die Abwässer aus Ölbrunnen, übergelaufenen Sammelbecken oder leckende Pipelines Natur, Umwelt und Anwohner: das “schwarze Gold” als Schmiermittel.
Donald Moncayo hat schon Pipelines platzen und Öl die Straße runterlaufen sehen, und er kann einem noch viele weitere schlimme Sachen zeigen:
Weiter geht es zum mit Ölbrunnen umstellten Haus von José, den Donald Moncayo als verbitterten, kranken Mann beschreibt. Überprüfen lässt sich diese Behauptung nicht mehr: Ihr Mann sei vor wenigen Wochen gestorben, teilt seine Frau mit Tränen in den Augen mit.
Also weiter zu Diana Urbano. Möglich, dass sie die Nächste ist, die an Krebs stirbt. Die Zwölfjährige leidet an Leukämie. Ihre Mutter Marisol holt Diana zu sich, während sie erzählt.
Aus Kolumbien seien sie und ihr Mann hier hergezogen, sagt Marisol Urbano, sie hätten Land gekauft und einen Bungalow gebaut. Dann kamen die Petroleros, die Ölarbeiter. Seither verläuft eine Pipeline durch ihren Vorgarten, ist das Wasser rundherum nicht mehr genießbar. Man kann wie in all den anderen Fällen von Kranken und Toten, ob jung oder alt, nicht beweisen, dass das Öl Schuld ist. Gesund ist es definitiv nicht.
Beim Wasser haben der Popmusiker Sting und seine Frau Trudie Styler geholfen. Deren Rainforest Foundation hat den Wassertank auf dem Dach des unverputzten Betonbungalows von Familie Urbano bezahlt. Die Idee: Wenn das Wasser in den Quellen und Flüssen ringsum kontaminiert ist, muss man eben den Regen auffangen.
Zumindest für Diana Urbano kam das saubere Trinkwasser zu spät. Ihre Mutter, die noch vier weitere Töchter zu versorgen hat, bekommt wegen der Krankheit Geld vom Staat. „Aber was bringt mir das Geld, wenn es weit und breit keine Experten gibt, die meine Tochter behandeln können?“, fragt sie. Wegziehen wolle und könne sie nicht: „Wo sollen wir hin?“. Ihr Häuschen und ihren Garten mit den Kakao- und Yucca-Pflanzen würde ihr niemand abkaufen.
Zwei Kilometer die Schotterpiste runter, immer an der Pipeline entlang, sticht eine fast unnatürlich gelb leuchtende Flamme am Straßenrand ins Auge. Sie gehört zu einer weiteren Ölpumpe; hier wird das giftige Gas, das gemeinsam mit dem Öl aus dem Boden kommt, abgefackelt. Die Hitze unter der Flamme nutzen zwei Bauern, um ihre Kakaobohnen zu trocknen. Die wiederum direkt neben der Pipeline gewachsen sind. Es ist ein Leben mit dem und ein Sterben am Öl.
Donald Moncayo ist einer der 30 000, die als Geschädigte gegen den US-Ölkonzern Chevron vor Gericht kämpfen. Die später von Chevron gekaufte Ölfirma Texaco, so der Vorwurf, habe die Gegend seit den Siebzigerjahren kontaminiert und die Schäden an Mensch und Umwelt nicht hinreichend kompensiert.
Nur: Dieser Prozess zieht sich jetzt schon mehr als zwanzig Jahre hin.
Ein Land badet im Öl
Öl ist in Ecuador omnipräsent - im Leben der Menschen und in der Politik.
Ecuador ist zwar das kleinste Mitgliedsland in dem Ölförderkartell Opec, Rohöl macht jedoch die Hälfte der ecuadorianischen Exporte aus. Entsprechend wichtig sind die Öldevisen für die Regierung von Präsident Rafael Correa, entsprechend stark leidet das Land gerade unter den niedrigen Ölpreisen.
Die interaktive Zeitleiste dokumentiert die Geschichte der Ölföderung in Ecuador - von den Anfängen bis zum Beginn der Bohrungen im Nationalpark Yasuní Anfang September 2016:
Die Ölförderung im Yasuní ist das jüngste Kapitel dieser oftmals traurigen Geschichte. Der Nationalpark grenzt unmittelbar an den Oriente, wo jahrzehntelange Ölförderung die Menschen und die Natur zerrüttet hat.
Anfang September eröffnete Vizepräsident Jorge Glas offiziell die erste Ölplattform im Yasuní. Dabei hatte Präsident Rafael Correa 2007 vor der UN-Vollversammlung einen ungewöhnlichen Deal angeboten: wenn die Welt Ecuador 4,6 Milliarden Dollar zahle, bleibe das im Nationalpark gelegene Ölfeld Ishpingo-Tambococha-Tiputini (ITT) unangetastet.
Es kam nicht mal ein Bruchteil des Geldes zusammen. 2013 erklärte Correa seine Yasuní-ITT-Initiative für gescheitert. Jetzt wurde das Ölfeld angezapft, in dem Reserven von 1,7 Milliarden Barrel vermutet werden. Man kann sich ausrechnen, dass die staatliche Ölfirma Petroamazonas hier so schnell nicht weggehen wird.
Anders als viele Umweltschützer spielt die ecuadorianische Regierung die Gefahr für die Natur herunter. Sie betont, dass mit der Ölförderung heute viel weniger Landfraß einhergehe als noch in den Siebzigern. Pipelines verlaufen unterirdisch und können nicht mehr wie zuletzt vor drei Jahren von einem Erdrutsch beschädigt werden; damals schwamm ein Ölteppich den Río Napo hinunter bis ins benachbarte Peru. Donald Moncayo berichtet, dass Abfälle wie etwa der Ölschlamm heutzutage nicht mehr in Gewässer geleitet, sondern von Bakterien zersetzt werden sollen.
Trotzdem: Wie vertragen sich Ölförderung und Nationalpark?
In Ecuador ist man über solche Fragen längst hinweg. Das Ölgeschäft ist hochpolitisch, weil es dem Staat einen Großteil seiner Einnahmen beschert, die Industrie wird von der Politik protegiert. Als etwa Aktivisten per Unterschriftensammlung ein Referendum zur Ölförderung im Yasuní erzwingen wollten, erklärte die Regierung mehr als die Hälfte der dafür gesammelten Unterschriften für ungültig.
Westliche Entwicklungshelfer lassen sich, sofern sie nicht unter Protest das land verlassen haben, zu dem Thema nicht zitieren. Im Frühjahr scheiterte bereits zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit ein Besuch des Bundestags-Umweltausschusses. Die Abgeordneten wollten sich vor allem mit Erdöl- und Regierungskritikern treffen, die beklagen, dass ihre Initiative für eine Volksabstimmung über die Ölbohrungen im Yasuní zu Unrecht für gescheitert erklärt wurde. Beim ersten Versuch vor zwei Jahren lud Ecuador die deutschen Abgeordneten kurzerhand wieder aus; im Frühjahr hieß es, der Besuch sei nicht angemeldet gewesen.
Der Frust ist groß. Das merkt man, wenn man die Chefin des Yasuní-Nationalparks besucht, Daniela Pareja. Auch sie sagt, sie lasse sich nicht zu diesem Ölthema zitieren. Man könne aber davon ausgehen, dass das Indianerreservat im Yasuní unangetastet bleibe.
Und sonst? Der 31 Jahre alten Biologin ist natürlich bewusst, dass Ölförderung und ein Nationalpark sich ausschließen. Müsste man den Nationalparkstatus nicht aufheben? Sie sei nur für technische Angelegenheiten zuständig, sagt Pareja, und zur Verabschiedung rutscht ihr dann dieser Satz heraus: „Es ist schon ein kleiner Skandal.“
Ein Skandal, an dem auch die Einheimischen ihren Anteil haben. Obwohl sie vom Kuchen nur ein paar Krümel abkriegen, kommen viele in den Osten Ecuadors, um als Petrolero zu arbeiten.
Die Stadt Coca, keine drei Stunden Motorbootfahrt von der jetzt im Nationalpark eröffneten Bohrplattform entfernt, ist in den vergangenen Jahren vom Kaff zu einer ebenso heißen wie lauten Stadt herangewachsen. Zumindest wenn sie selbst angebaute Bananen, Kakao oder Yucca verkaufen wollen, kommen auch die Indigenen hierher. Sie sehen dann, wie die Stadtbewohner Auto fahren, zu lauter Musik kühles Bier in den Bars am Malecón trinken und danach in ihre klimatisierten Wohnungen gehen.
Das verändert die Ansprüche und das Denken, und es erscheint gerade den Jungen attraktiver als ein Leben als Kakaobauer, der in einer strohgedeckten Hütte wohnt. Und ehe man sich versieht, hat der nächste sein Grund und Boden für ein paar Tausend Dollar an eine Ölfirma verkauft, die dort dann bohren kann.
Die folgende Bilderstrecke zeigt Eindrücke vom Leben der Indigenen am Río Napo:
Zwar gehört das Land einer Indiogemeinde immer allen gemeinsam. Aber die Ölfirmen tauchen immer wieder auf den Dorffesten mit einem Fass Bier auf, sie versprechen Stipendien für die Jungen und bezahlen Beerdigungen.
Das kommt jedenfalls besser an als die sogenannten Millennium Schools, die der Staat in den Indiodörfern errichtet hat. Diese Schulen haben zwar Plasmafernseher, aber keine Lehrer. Die Petrodollars wecken mehr Sympathien, und irgendwann entscheidet sich die Mehrheit zum Verkauf des gesamten Dorfs.
Danny Gualinga kennt viele solcher Geschichten. Der 31-Jährige ist in der Indio-Gemeinde Sani Isla aufgewachsen: um die 40 Familien, jede hat ihre Parzelle entlang des Río Napo. Es sind Kleinbauern, die traditionell für den eigenen Bedarf anbauen. “Wer so aufwächst, weiß in der Regel mit Geld nichts anzufangen”, berichtet Gualinga. Das Geld werde allzu oft schlichtweg versoffen, “viele hier haben ein Alkoholproblem”, berichtet Gualinga.
Und doch macht die Geschichte von Danny Gualingas Gemeinde Sani Isla Hoffnung. Sie zeigt, dass ausgerechnet im Ölförderland eine wirtschaftliche Entwicklung möglich ist, die mit der Natur und den Traditionen der Einheimischen im Einklang ist.
Seltsamerweise spielen Petrodollars in dieser Geschichte eine entscheidende Rolle.
Das Positivbeispiel
Ein Indio-Dorf hat sich von der Ölfirma eine Touristenlodge bauen lassen - und verdient damit jetzt sein eigenes Geld.
Dass es die Sani Lodge überhaupt gibt, ist einer Mischung aus Zufall, Verantwortungsgefühl gegenüber künftigen Generationen sowie Geschäftssinn der einheimischen Kichwa-Indianer geschuldet - und einem Koffer voller Geld.
Dabei ist die Idee an sich simpel: mit Kakao lässt sich nicht so viel Geld verdienen wie mit Touristen. Schließlich gibt es hier unzählige Arten von Affen, Schlangen und Vögeln, dazu exotische Insekten, riesige Tropenbäume und wild wuchernde Lianen. Die Gegend ist ein ständig surrendes, feuchtheißes Paradies, das Naturkundler ebenso fasziniert wie abenteuerlustige Städter - und nur eine Flugstunde von der Hauptstadt Quito entfernt liegt.
Danny Gualingas Vater Orlando hat das mit der Ölfirma damals eingefädelt. Zwanzig Jahre lang habe er als Petrolero gearbeitet, berichtet der 70-Jährige, der mit seiner modischen Brille und dem Juventus-Turin-Trikot viel jünger aussieht.
“Ich konnte mir ja vorstellen, wie viel Geld mit jeder einzelnen Ölplattform verdient wird”, sagt Gualinga. Mit diesem Wissen schloss das Dorf Sani Isla mit der US-Ölfirma Occidental Petroleum folgenden Deal: Probebohrungen gegen Geld für eine Touristenlodge.
In der Nachbarschaft gab es bereits solche Lodges, betrieben von Ausländern. “Ich dachte an meine zehn Kinder und dass die von irgendetwas leben müssen”, erinnert sich Orlando Gualinga. Sani Isla brauche eine eigene Lodge, argumentierte er. Und Öl sei ja per se nichts Schlechtes. “Ohne Öl wären Sie nicht hier”, sagt er, an den deutschen Reporter gewandt.
Der Plan ging auf. Occidental Petroleum fand in Sani Isla kein Öl und ging wieder, die Gemeinde hingegen hatte nun nicht nur eine schöne, abseits des lauten und dreckigen Río Napo gelegene Lagune mit Schildkröten, Kaimanen und einem nächtlichen Sternenhimmel zum Niederknien, sondern auch das Geld, um an dieser Stelle eine komfortable Touristenlodge zu bauen - mit richtigen Betten, einer gut sortierten Bar und Lehrpfaden, die direkt in den unberührten Dschungel führen. Nach einem holprigen Start halfen unter anderem US-Entwicklungshelfer, Guides auszubilden und die Lodge zu vermarkten.
Das folgende Video zeigt Eindrücke aus der Sani Lodge und den Touristenführer Danny Gualinga:
Zwar profitieren nicht alle 400 Dorfbewohner gleichermaßen von der Lodge, sondern nur etwa 50 Angestellte und deren Familien. Nicht zuletzt deshalb gab es vor dreieinhalb Jahren Streit, als die staatliche Ölfirma Petroamazonas einen neuen Versuch machte, auf dem Gebiet der Gemeinde zu bohren.
Einige der Dorfbewohner wollten ihr Land verkaufen; sie waren aber in der Minderheit. Nachdem Petroamazonas zwischenzeitlich sogar mit einem Militäreinsatz drohte, ist es in Sachen Öl seit zwei Jahren ruhig. Wer weiß, wie lange noch.
Nun verfügt nicht jede indigene Gemeinde über eine Lagune, wo man eine schöne Lodge abseits des Río Napo hinstellen kann; wo also nicht ständig Fähren mit Öltrucks darauf den Fluss queren oder alle paar Jahre mal ein Ölteppich flussabwärts Richtung Peru durchfließt. Nicht einmal Landrechte sind in Ecuador garantiert: Tief im Dschungel gilt kein Grundbuch; hier vergibt der Staat Förderlizenzen nach Gusto.
Die Leute in diesem Teil Ecuadors sind es schon gewohnt, dass sie von der Ölförderung nicht reich werden, sehr wohl aber ihre Folgen ertragen müssen. Und die wenigsten Touristen rechnen damit, auf ihrem Abenteuertrip Richtung Dschungel auf Petroleros und Bohrplattformen zu stoßen.
Man kann an alledem verzweifeln. Man kann es aber auch mit Sarkasmus versuchen, so wie die Chefin des Nationalparks, Daniela Pareja: „Vielleicht ist all das eine Chance zur Umweltschutz-Bildung”, sagt sie. Weil sich zumindest einige wenige der westlichen Besucher fragen werden, was all das mit dem Geländewagen in der heimischen Garage zu tun hat.
Text, Fotos und Kamera: Jan Georg Plavec
Videoschnitt: Siri Warrlich
Unterstützung vor Ort: Felipe Arteaga
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