Zu Gast im Weltkulturerbe

Sechs Höhlen auf der Schwäbischen Alb sind ins Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen worden. Vor 40.000 Jahren waren sie die Wiege der menschlichen Kultur. Ein Besuch. 

Weltkulturerbe auf der Schwäbischen Alb

1. Kapitel

Sechs steinzeitliche Höhlen auf der Schwäbischen Alb sind in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen worden: Hohle Fels, Geißenklösterle und Sirgenstein im Achtal, Vogelherdhöhle, Hohlenstein und Bockstein im Lonetal. Seit Jahrzehnten graben Archäologen im Hohle Fels. Die Höhle bei Schelklingen ist eine der Geburtsstätten der Kultur. Hier erwachte der künstlerische Genius des Menschen zum Leben.

Der Eingang zur Höhle ist durch ein Eisentor versperrt. Drinnen im Halbdunkel sieht es aus wie auf einer Baustelle. Werkzeuge, Kabel, Eimer, Lampen, Planen, die neben verschmutzten Glasvitrinen mit Zeitungsartikeln herumliegen. Nach wenigen Metern überquert man einen Metallsteg, der in eine gewaltige, nur von spärlichem Licht erhellte Halle führt. Mit 500 Quadratmetern Grundfläche ist der Hohle Fels, eine Karsthöhle bei Schelklingen, eine der größten natürlichen Kathedralen Süddeutschlands.

Klicken Sie in die Google-Maps, um mehr über die Steinzeit auf der Schwäbischen Alb zu erfahren

Vor Zehntausenden von Jahren war hier das Reich des mächtigen Höhlenbären. Im Schutz des Felsengewölbes verbrachte er seinen Winterschlaf, während draußen eisige Winde fegten und meterhoher Schnee die baumlose Tundra bedeckte. Irgendwann vor 35.000 Jahren könnte sich im Dunkel der Höhle ein Drama abgespielt haben. Menschen der steinzeitlichen Kultur des Aurignacien stießen auf der Suche nach Unterschlupf und Beute auf einen schlafenden Bären und töteten ihn.

Von dem Kampf auf Leben und Tod zeugt bis heute ein Brustwirbel des Raubtieres, in dem noch die abgebrochene Spitze eines Speeres aus Feuerstein steckt und auf dem Schnittspuren zu sehen sind. Es ist der weltweit einzige Hinweis für die Jagd auf den vor Tausenden von Jahren ausgestorbenen Predator.

Vor dem Eingang zur Halle ist ein 30 Quadratmeter großer Korridor. Über eine schmale Leiter geht es vier Meter hinab in die Tiefe. Auf dem terrassierten Untergrund sind Sandsäcke ausgebreitet. Fünf Mitarbeiter des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Universität Tübingen arbeiten an diesem Morgen seit halb acht in der Früh in der Grube. Mit feinen Stukkateureisen schaben sie vorsichtig Millimeter für Millimeter die lehmige Erde beiseite.  

„Wir befinden uns im Zeitalter des Neandertalers“, sagt Sarah Rudolf, die Grabungsleiterin im Hohle Fels. Nur wenige Steinwerkzeuge aus hiesigem Jurahornstein haben die Archäologen bisher gefunden - hauptsächlich Knochen vom Höhlenbären.

Um ein Vielfaches reichhaltiger sind hingegen die Funde aus dem Aurignacien, der letzten Periode der europäischen Altsteinzeit - dem Paläolithikum vor 43.500 bis 31.000 Jahren. Es war die Zeit, als die ersten anatomisch modernen Menschen aus Afrika über den Nahen Osten entlang der Donau in das heutige Baden-Württemberg einwanderten und die Mammutsteppe und Höhlen der Schwäbischen Alb besiedelten.

Die 25-jährige Grabungstechnikerin leitet zusammen mit dem Archäologen Alexander Janas die Arbeit vor Ort. „Natürlich wollen wir tolle Funde machen“, sagt sie. Allerdings seien Archäologen keine Schatzsucher, die auf der Jagd nach Edelsteinen und Gold sind.

Scheinbare Nebensächlichkeiten, achtlos liegengelassene Kleinigkeiten, schwärzliche Flecken im Sediment, die auf eine Feuerstelle hindeuten, Bruchstücke von Elfenbein, Steinsplitter oder Knochenfragmente sind für die Forscher von unschätzbarem Wert. Vermitteln sie doch Einblicke in eine untergegangene Welt, die durch Akribie und Geduld dem Vergessen entrissen wird. Jedes noch so kleine Stück kann Aufschluss geben über das Leben und den Alltag in der Steinzeit.

„Da liegt ein Elfenbeinstück.“ Sarah Rudolf deutet auf ein knapp zwei Zentimeter großes verdrecktes Teil im lehmverschmierten Sedimentgestein. „Man braucht geschulte Augen, um das zu erkennen.“ Vielleicht handelt es sich um Reste, die bei der Anfertigung einer Tierfigur oder eines Amuletts angefallen waren. Vorsichtig legt die amerikanische Archäologistudentin Anna Barun das Fragment in eine transparente Plastiktüte und beschriftet es.

Der Ausgrabungsbereich ist in 30 Quadrate zu jeweils einem Quadratmeter unterteilt. Von oben nach unten werden die einzelnen Schichten durchsucht, die im Laufe von Zehntausenden von Jahren durch menschliche Besiedlung, eingeschwemmte Sedimente und Abbrüche von der Höhlendecke und den Wänden entstanden sind. „Der Hohle Fels ist eine steinzeitliche Schatzkammer“, so Janas.

Der 41-jährige Archäologe steht am Vermessungsgerät und peilt eine Fundstelle an. Der rote Laserpunkt markiert, wo gemessen wird. Danach berechnet der Computer anhand von zuvor gemessenen Punkten die 3D-Koordinaten und speichert sie. Am Abend werden die Informationen in die zentrale Datenbank des Tübinger Instituts eingefügt, in der auch die Auswertungen gemacht werden. Ein kurzer Blick in den Rechner und schon weiß Janas, wie viele Einzelfunde seit 1997 im Hohle Fels gemacht wurden. „79.674, davon 1089 größere Elfenbeinstücke.“


Info: Ausgrabungen im Hohle Fels

1830 stieß der Schelklinger Töpfer Karl Friedrich Rixinger beim Graben nach Lehm und Tonerde im Hohle Fels auf Knochen von Höhlenbären, die er an einen Sammler verkaufte.

Erste Grabungen durch den Naturforscher Oscar Fraas förderten 1870/71 Reste von Höhlenbär, Rentier, Mammut und Wildpferd zutage.

1906 untersuchte der Tübinger Prähistoriker Robert Rudolf Schmidt die Höhle, ohne allerdings auf archäologische Schichten zu stoßen.

Von 1958 bis 1960 grub der Tübinger Archäologe Gustav Riek im Hohle Fels.

Ab 1977 erfolgten die ersten systematischen Ausgrabungen durch das Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Tübingen unter Leitung von Joachim Hahn.

Seit dessen Tod 1997 führt der Archäologe Nicholas Conard die Arbeiten im Hohle Fels und weiteren Höhlen auf der Schwäbischen Alb fort.

Die Fundstätte im Achtal unweit von Schelklingen ist so reich an steinzeitlichen Artefakten wie nur wenige archäologische Orte auf der Welt. Was die Wissenschaftler aus der Erde und vor allem aus den beiden Quadraten 30 und 31 geborgen haben, sprengt jede Vorstellungskraft. Die filigranen Darstellungen von Menschen und Tieren aus Elfenbein, nur wenige Zentimeter groß und doch ungeheuer ausdrucksstark und detailgetreu, zählen zu den ältesten figürlichen Kunstwerken der Menschheit: ein Pferdekopf, ein Wasservogel, eine menschliche Gestalt mit Löwenhaupt, Bruchstücke einer Frauenfigur.

Das berühmteste Fundstück aber ist die Venus vom Hohle Fels, die am 5. August 2008 von einer Schweizer Studentin gefunden wurde. Die sechs Zentimeter hohe Figurine aus Mammutelfenbein ist das älteste je entdeckte Kunstwerk aus der Hand des modernen Menschen. „Der Fund ist etwa 40.000 Jahre alt. Weltweit gibt es keinen Standort, wo ältere figürliche Kunst bekannt ist“, berichtet Nicholas Conard.

Der 55-jährige Deutsch-Amerikaner ist Professor für prähistorische Archäologie und gräbt seit über 20 Jahren in den Karsthöhlen der Alb. Seit 1997 leitet er das Institut für Ältere Urgeschichte und Quartiärökologie an der Universität Tübingen, das hoch über den Dächern der Altstadt im Schloss Hohentübingen thront.

2008 fand Conards Team, in dem Studenten aus aller Welt mitarbeiten, im Hohle Fels eine fast vollständige Flöte aus der Speiche eines Gänsegeiers. Zwei weitere Flötenfragmente bestehen aus Mammutelfenbein, dasselbe Material, aus dem auch eine Flöte aus dem wenige hundert Meter entfernten Geißenklösterle ist.

Wie Maulwürfe graben sich die Forscher im Schneckentempo durch die Erdschichten. Etwa 20 Zentimeter pro Saison, in der jedes Jahr sieben bis zehn Wochen von Ende Juni bis August ausgegraben wird. Im Herbst ist die Höhle wegen der dort nistenden Fledermäuse geschlossen. Ansonsten werden fast täglich Besucher von der Museumsgesellschaft Schelklingen und ihrem Vorsitzenden Reiner Blumentritt durch den Hohle Fels geführt.

Konstante zehn Grad Celsius herrschen das ganze Jahr über in der Höhle. „Die Bedingungen sind optimal“, erläutert Sarah Rudolf. Die unteren Erdschichten seien über die Jahrtausende völlig unberührt geblieben. Fast so als würden Ägyptologen ein unversehrtes Pharaonengrab im Tal der Könige entdecken.  

Totenstille herrscht in der Schelklinger Fels-Kathedrale. Ab und an fällt ein Wassertropfen von der Decke auf den mit Sedimenten und Kalkversturzblöcken übersäten Boden. Ansonsten hört man . . . rein gar nichts. Weder den Lärm der vorbeifahrenden  Autos noch der Lastwagen, die ihre Ladung aus einem Steinbruch auf der nahe gelegenen Bundesstraße 492 zwischen Blaubeuren und Schelklingen transportieren.

Als vor über 40.000 Jahren steinzeitliche Jäger Zuflucht in der Höhle suchten, saßen sie um eine Feuerstelle und wärmten sich an glimmenden Tierknochen, da Holz in der kargen Tundra knapp war. Die Clans dürften kaum größer als 20, 25 Personen gewesen sein. Als Nomaden zogen sie von Tal zu Tal, von Höhle zu Höhle stellten Mammuts, Rentieren, Hirschen, Wisenten und Wollnashörnern, aber auch kleinerem Wild  nach.

Als der Homo sapiens in den Südwesten kam, war das Land menschenleer. Die Neandertaler hatten das Gebiet wahrscheinlich längst verlassen oder waren ausgestorben. Conard zufolge gibt es keine Hinweise dafür, dass sich der Homo neanderthalensis und Homo sapiens auf der Schwäbischen Alb begegneten, bekriegten oder gemeinsame Kinder zeugten.

Es ist eine der spannendsten und faszinierendsten  Fragen der Archäologie: Warum wurde der moderne Mensch vor über 40.000 Jahren zum Künstler? Warum entwickelte er gerade hier, in den kargen Tälern und an schroffen Hängen der Schwäbischen Alb Fähigkeiten und Fertigkeiten, die ihn zum kreativen, geistig schaffenden und abstrakt denkenden Wesen machten? Warum geschah diese kulturelle Genesis nicht in einem langsamen Prozess, sondern - in evolutionsgeschichtlichen Dimensionen gemessen - quasi über Nacht? Und warum wurde aus dem Homo der Homo sapiens - der wissende Mensch?

Im Urgeschichtlichen Museum in Blaubeuren werden einige der bedeutendsten Fundstücke aus der Region aufbewahrt: Darstellungen von Menschen und Tieren aus Elfenbein, Knochenflöten, mit doppelreihigen Punktmustern bemalte Kiesel und Schmuckperlen. Sie stammen aus der Hand begabter Handwerker, die Werkzeuge herstellten und zu Schöpfern von bis dahin völlig unbekannten, grazilen Gegenständen wurden.

„Wir wissen nicht, welchen Zweck diese Objekte erfüllten oder warum sie in den Höhlen abgelegt wurden“, erklärt der Archäologe Hans Wiedmann vom Blaubeurener Museum. Waren es Amulette für die Lebenden? Totems für die Verstorbenen, die sie auf ihrem Weg ins Jenseits begleiten und beschützen sollten? „Vielleicht waren das Pferdchen und Mammut Kinderspielzeuge oder der Wasservogel ein schamanisches Symbol. Wir werden ihren wahren Sinn wohl nie ganz erschließen.“

150 Meter vom vom Höhleneingang entfernt schlämmt die amerikanische Archäologiestudentin Emma Kozitzky Sedimente. Sie steht mit ihren Gummistiefeln knietief im glasklaren Wasser der Ach, die hier nicht mehr als ein Bächlein ist.

„Kein Fundstück  entgeht uns“, sagt sie ohne aufzublicken und schüttet eine Schüssel mit Wasser über einen Sedimenthaufen. Auch millimetergroße Stücke würden gesammelt, gewaschen und archiviert. „Selbst die kleinsten Teile können zur Venus oder anderen Figuren passen.“  Emma gehört zum 15- bis 18-köpfigen Grabungsteam, das jedes Jahr im Sommer auf Spurensuche geht.

Aus der ganzen Welt kommen Anfragen von Studenten und Doktoranden, die in Schelklingen praktische Erfahrungen sammeln wollen. In der Fachwelt sei der Hohle Fels eine „ganz große Nummer“, sagt Alexander Janas. „Wir haben drei bis vier Mal mehr Bewerber als Plätze. Theoretisch könnten wir das ganze Jahr über arbeiten. Doch dafür fehlen Geld, Personal und Zeit. Wir werden hier die nächsten 10, 20 Jahre graben“, ist sich der Archäologe sicher. Die Wunderkammer auf der Schwäbischen Alb hat noch längst nicht all ihre Schätze preisgegeben.

Der Mensch kommt nach Europa

2. Kapitel

Vor mehr als 42.000 Jahren kamen die ersten Vertreter des Homo sapiens von Afrika über den Nahen Osten und den Balkan in das Gebiet des heutigen Baden-Württemberg. Es war die erste große Wanderung, der weitere folgen sollten.

Vor mehr als 45 .000 Jahren gehörte die Schwäbische Alb dem Neandertaler, der von mindestens 230.000 bis 30. 000 weite Teile Europas bevölkerte. Im Jungpaläolithikum wurde er mit einer Spezies konfrontiert, die bis dahin in Afrika und im Nahen Osten gelebt hatte.

Bis heute ist umstritten, wann und in wie vielen Ausbreitungswellen der moderne Mensch Europa besiedelte. Ein Forscherteam unter Leitung von Wissenschaftlern der Universität Tübingen und des Max-Planck-Instituts (MPI) für Menschheitsgeschichte in Jena hat das Erbgut von 51 frühen europäischen Jägern und Sammlern aus der Zeit von vor 40.000 bis 7000 Jahren rekonstruiert. Wir sprachen mit Johannes Krause, Professor für Archäo- und Paläogenetik, über die frühe Besiedlung Mitteleuropas und der Schwäbischen Alb:

Herr Professor Krause, welche Bedeutung hat die Schwäbische Alb für die Besiedlung Europas?

Zahlreiche Proben, die wir untersucht haben, stammen aus der Brillenhöhle und der Falkensteinhöhle, dem Hohle Fels sowie aus anderen Höhlen des Achtals und Lohnetals. Die Schwäbische Alb ist für die Frühgeschichte des modernen Menschen eine sehr wichtige Region. Diese fossilen Funde des Frühmenschen sind das Ausgangsmaterial für unsere genetischen Untersuchungen.

Was machte die Alb für die frühen Menschen so interessant?

Sie hatte eine strategisch günstige Lage. Man konnte hier gut jagen. In der Mammutsteppe, die dem Alpengletscher vorgelagert war, gab es genügend Tierherden und Höhlen, die als Unterschlupf in den harten Wintern dienten. In diesen Kalksteinhöhlen haben sich Knochen von Pferden, Wollnasshörnern und Mammuts konserviert. Wir wissen aber nicht, ob es permanente Siedlungen oder nur zeitweilige Jagdcamps waren.

Wann fand die erste Besiedlung statt?

Diese erste dichte Besiedlung fand vor und nach dem letzten glazialen Maximum, der letzten großen Eiszeit statt, die zwischen 24.000 und 18.000 Europa beherrschte. Für diesen Zeitraum vor mehr als 40.000 Jahren haben wir so gut wie keine menschlichen und archäologischen Funde aus der Region. Die meisten Funde stammen aus der Zeit um 35.000 bis 31.000 und ab 16.000.

Was geschah zwischen 24.000 und 18.000?

Wahrscheinlich waren nur der Balkan und die Iberische Halbinsel besiedelt. Es war die Zeit der großen Vergletscherungen, die bis zum Harz und zur Alb reichten. Alles andere war Tundra. Der Alpengletscher reichte bis an den Fuß der Schwäbischen Alb im Norden und südlich bis zum Po in Norditalien. Alles Land über 500 Meter war unter einer dicken Eisdecke begraben. Die Menschen mussten sich aufgrund der Kälte in wärmere Regionen zurückziehen.

Wie war eine solche Kunstfertigkeit möglich angesichts des täglichen Überlebenskampfes?

Solche Innovationen waren nur möglich, weil die Population auf der Alb dort relativ groß war. Es musste genügend Menschen gegeben haben, damit Spezialisten wie Künstler und Waffenbauer arbeiten konnten. Wie viele Menschen dort lebten, lässt sich allerdings nicht sagen.

Wie endete die erste Epoche der Besiedlung auf dem Gebiet des heutigen Baden-Württemberg?

Die Menschen der Aurignacien-Kultur sind wahrscheinlich aufgrund der starken klimatischen Veränderungen und der harten Winter verschwunden. Ihre Nachfahren finden sich später nach der Eiszeit in Südwesteuropa wieder. Die Menschen sind aber wohl nicht bewusst in den Süden gewandert, weil sie keine Vorstellung von geografischen Räumen hatten. Um 31.500 erschienen Menschen einer neuen Kultur, des Gravettien, die aus Osteuropa auf die Alb vordrangen.

Wer waren sie?

Es waren Mammutjäger, die aus der Steppe Osteuropas kamen und nur wenige genetische Spuren im heutigen Europäer hinterlassen haben. Die ersten frühen Menschen aus dem Aurignacien haben einen weit stärkeren genetischen Beitrag geleistet als diese Mammutjäger. Diese Kultur, die zwischen 31. 000 und 24 .000 Mitteleuropa bewohnte, war gekennzeichnet durch eine intensive Jagd auf Mammuts. Mit dem Ende der Eiszeit haben die Mammutjäger Mittel- und Westeuropa wieder verlassen.

Wie ging es weiter mit der Besiedlung der Alb?

Zwischen 18. 000 und 14. 000 finden wir Überreste der Magdalénien-Kultur aus Südfrankreich und der Iberischen Halbinsel auch auf der Schwäbischen Alb – etwa in der Brillenhöhle und im Hohle Fels. Genetisch ähneln sie den Menschen aus dem Arignacien.

Info: Jungpaläolithikum

Aurignacien
Das Aurignacien ist die älteste archäologische Kultur des europäischen Jungpaläolithikums, dem jüngsten Abschnitt der Altsteinzeit. Zu dieser Zeit breitete sich der moderne Mensch in weiten Teilen West-, Mittel- und Osteuropas aus. Das Aurignacien begann auf der Alb um 40 .000 und reichte bis 31 .000.

Gravettien
Das Gravettien ist die wichtigste archäologische Kultur des mittleren Jungpaläolithikums in Europa. Jäger und Sammler hinterließen archäologische Spuren in weiten Teilen Europas. Diese Kulturstufe erstreckte sich von 31.000 bis 24. 000.

Magdalénien
Das Magdalénien ist eine Kulturstufe im jüngeren Abschnitt des Jungpaläolithikums am Ende der letzten Eiszeit. Benannt wurde es nach der Halbhöhle La Madeleine im französischen Département Dordogne. Die älteren Zeitabschnitte waren auf den südwestfranzösischen Raum beschränkt. Das Magdalénien breitete sich in Mitteleuropa ab 14 .000 bis 400 v. Chr. aus. Der älteste Fundplatz in Süddeutschland liegt bei Munzingen.

Weltkultur im Schutz der Höhlen

3. Kapitel

Höhlen waren das Zuhause der ersten Menschen. Bis heute üben sie und die Geschichte ihrer Besiedlung eine ungeheure Faszination aus. Allein in Baden-Württemberg gibt es mehr als 2000 unterirdische Felsgänge, Gewölbe und Hallen.

Überall dort, wo sich das Wasser über Millionen von Jahren seinen Weg durch das Gestein ­gebahnt hat, gibt es Höhlen. Manche haben Gänge, die Dutzende, ja Hunderte Kilometer lang sind. Andere sind so tief, dass man viele Stunden, manchmal Tage benötigt, bis man zum Grund gelangt.

Die Schwäbische Alb ist eines der größten Karstgebiete in Europa. Karst ist eine Landschaftsformation, die aus verwitterndem Kalkstein besteht. Der wasserlösliche Kalkstein wurde ausgewaschen, so dass sich Höhlen und Dolinen bildeten. Die Verkarstung führte dazu, dass das Oberflächenwasser versickerte und so Hohlräume und Kanäle entstanden, die über Jahrmillionen immer größer und tiefer wurden.

Die Menschen der Steinzeit fanden in den Höhlen Schutz vor der Kälte, vor Stürmen und wilden Tieren. Zugleich boten sie ihm jene Geborgenheit, die Voraussetzung für sein künstlerisches Schaffen war.  

Info: Epochen der Steinzeit

Die früheste Epoche in der Menschheitsgeschichte ist durch den Gebrauch von Steinwerkzeugen gekennzeichnet, die bereits von frühen Vertretern der Gattung Homo, den Homo habilis und Homo erectus hergestellt wurden. Die Steinzeit, die vor 2,6 Millionen Jahren in Afrika und vor 1,1 Millionen Jahren in Europa begann und um 2200 v. Chr. endete, lässt sich in drei große Perioden einteilen:

Paläolithikum: Die Altsteinzeit beginnt mit dem Altpaläolithikum (2,6 Millionen bis 300. 000 Jahren), gefolgt vom Mittelpaläolithikum (300.000bis 40. 000 Jahren) und endet mit dem Jungpaläolithikum (40.000 bis 10. 000 Jahren). Die Menschen waren Jäger und Sammler, sie kannten bereits das Feuer und nutzten zusammengesetzte Jagdwaffen aus Holz und Stein.

Mesolithikum: Mit dem Ende der Eiszeit beginnt in Europa die Mittel- und Jungsteinzeit (9600 bis 4500 v. Chr.). Der Übergang von der Jäger- und Sammlerkultur zu Ackerbau und Viehzucht markiert den Beginn der Jungsteinzeit, dem Neolithikum (deshalb auch Neolithische Revolution genannt). In Mitteleuropa umfasst sie den Zeitraum von 5600 bis 4900 v. Chr. und endet um 2150 v. Chr..

Kupfersteinzeit: Das Ende der Steinzeit wird eingeläutet durch den in Ägypten, Südosteuropa und Vorderasien aufkommenden Kupferbergbau und die ersten Techniken der Metallurgie. Der bekannteste Mensch der Kupfersteinzeit ist der als Kälte-Mumie erhaltene Ötzi. Mit der Bronzezeit, in der Metallgegenstände vornehmlich aus Bronze (einer Legierung von Kupfer und Zinn) hergestellt werden, endet die Steinzeit.

Die Geburt der Kultur

Big Bang auf der Schwäbischen Alb

4. Kapitel

2017 werden sechs Höhlen im Achtal und Lonetal zum Unesco-Weltkulturerbe ernannt. Wir sprachen mit Hermann Mader, dem Vorsitzenden des Fördervereins Eiszeitkunst im Lonetal, über die Faszination Steinzeit, die Bedeutung der Fundstätten auf der Schwäbischen Alb und die Projekte des Archäoparks Vogelherd.

Herr Mader, was würde der Titel Weltkulturerbe für Baden-Württemberg als Kultur- und Geschichtsregion bedeuten?

Es ist eine Herausforderung für die Region und das ganze Land - und ein Ritterschlag für unsere Vorfahren. Damit ist belegt, dass die Wiege der Kultur im Achtal und Lonetal liegt.  


Allein in das Urgeschichtliche Museum Blaubeuren kommen jährlich 80.000 Besucher. Wieviel Kapazitäten haben Sie noch?

2005 organisierten wir ein transnationales Projekt mit Aurignac in der Region Midi-Pyrénées bei Toulouse in Südfrankreich. Wenn man sieht, wie die Höhlen in Frankreich vermarktet werden mit 250.000 bis 350.000 Besucher pro Jahr, dann ist bei uns noch ein Riesenpotenzial vorhanden. Wir müssen jetzt richtig klotzen und dürfen nicht kleckern. Wir werden weltweit eine von Tausenden Weltkulturerbe-Stätten sein, aber innerhalb dieser Stätten gibt es nichts Vergleichbares.

Ein hoher Anspruch.

Im Achtal und Lonetal hat der kulturelle Urknall des modernen Menschen stattgefunden. Die Kommunen vor Ort können das Projekt Weltkulturerbe nicht alleine stemmen. Das ist auch eine Landes- und Bundesaufgabe. Die Alb-Höhlen werden in Zukunft noch größere Bedeutung erlangen. Denken Sie an die Pfahlbauten in Unteruhldingen am Bodensee, die 2011 in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen worden sind. Seitdem haben sich die Besucherzahlen verdreifacht.

Wie viele Besucher kommen jedes Jahr in den Archäopark?

35.000 bis 40.000. Im Jahr 2013 ist der Archäopark Vogelherd an den Start gegangen, nachdem die Ausgrabungen abgeschlossen waren. 100.000 Besucher sind für uns die unterste Grenze. Wir streben eine Kooperation mit der berühmten Grotte Chauvet-Höhle in Vallon-Port d’Arc in Frankreich an. In der 1994 entdeckten Höhle sind über 400 Wandbilder mit gemalten und gravierten Tier- und Symbolen. Grotte Chauvet hat die zehnfache Besucherzahl wie der Archäopark. Sie haben aber auch die zehnfache Summe investiert – über 50 Millionen Euro.

Wie hoch sind ihre Investitionen?

Vier bis fünf Millionen Euro. Wir wollen durch die Kooperation lernen, wie man die Vogelherdhöhle besser vermarkten kann. Die bisherigen Zahlen kann man verdreifachen, vervierfachen, ja sogar verfünffachen.

Planen sie die künftigen Welterbestätten im Südwesten kulturell und touristisch enger zu vernetzen?

Das tun wir bereits. Es existiert eine gemeinsame Webseite www.weltkultursprung.de), die eine Dachmarke für das Achtal und Lonetal, der Universität Tübingen und des Museums Ulm ist. Wir haben eine gemeinsame Wanderausstellung vorbereitet, die bald in der Kunsthalle Würth in Künzelsau und in der Schweiz unterwegs sein wird, um Werbung für die Alb-Höhlen zu machen.

Planen sie die künftigen Welterbestätten im Südwesten kulturell und touristisch enger zu vernetzen?

Viele Besucher wollen opulente Goldschätze und monumentale Statuen sehen. Damit können die Alb-Höhlen nicht aufwarten.

Die Augsburger Puppenkiste hatte einmal einen Werbeslogan: „Wie winzig sind doch unsere Puppen gemessen an der Größe ihres Ruhms.“ Genauso wollen wir es auch machen. Wir wollen den einzigartigen Schatz und Ruhm der Höhlen in den Vordergrund stellen.  

Warum ereignete sich gerade auf der Alb der kulturelle Urknall der Menschheit

Das ist ein absolutes Phänomen. Die nordischen Gletscher reichten damals bis südlich von Berlin, die Alpengletscher bis zur Donau. Die Menschen kamen über einen schmalen Korridor aus Afrika. Sie haben nichts anderes gemacht als die Flüchtlinge heute. Sie nahmen die Balkanroute entlang der Donau als Orientierungshilfe. Sie sind dort geblieben, wo die Infrastruktur günstig war. Das Klima auf der Alb war damals gemäßigt, es gab Höhlen, Wasser und Tiere für die Jagd.

Das sind äußere Faktoren. Was aber führte zu dieser zivilisatorischen Explosion?

Kunst entsteht, wenn alle sonstigen Bedürfnisse befriedigt sind. Es muss wohl so gewesen sein, dass sich die Einwanderer hier besonders wohlfühlten. Sie hatten genug zu essen, zu trinken und Zeit für einen kulturellen Big Bang. In Frankreich haben die ersten Menschen um 35.000 mit dem Malen begonnen. Da gab es auf der Schwäbischen Alb schon seit mehr als 5000 Jahren die ersten Figuren. Dieses Phänomen müssen wir stärker an die Weltöffentlichkeit tragen.

Ein sehr ambitioniertes Ziel.

Vor zehn Jahren hat man uns in der Region belächelt. Was wollt ihr denn mit so einem Mammutle, hieß es. Inzwischen ist das Interesse an der steinzeitlichen Kunst enorm gestiegen. Im Besucherbuch des Archäoparks und des Urgeschichtlichen Museums in Blaubeuren findet man Einträge aus aller Welt. Nachbildungen des Vogelherd-Mammuts stehen in Museen in London, New York und Tokio. Mit dem Hinweis: Auf der Schwäbischen Alb ist die Wiege von Kunst und Kultur.

Zu Gast im Weltkulturerbe
  1. Weltkulturerbe auf der Schwäbischen Alb
  2. Der Mensch kommt nach Europa
  3. Weltkultur im Schutz der Höhlen
  4. Big Bang auf der Schwäbischen Alb